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Lesung "Das Eigene und das Fremde" am 14.1.2016

15.01.2016

Gedanken über das Eigene und das Fremde

Lesungen des Vereins Signatur am 14.1.2016 in der Volksbank Tettnang treffen den Nerv der Zeit

Gedanken über das Eigene und das Fremde

Machen sich Gedanken über das Eigene und das Fremde (von links):  Lorenz Göser, Rea Revekka Poulharidou, Hajo Fickus, Rolf Maier, Roswitha Stumpp und Ingrid Koch. Foto: Helmut Voith

 
Von Helmut Voith
 

Tettnang sz Darauf kann der literarische Verein „Signatur“ mächtig stolz sein: Zeitgleich mit der Podiumsdiskussion der beiden baden-württembergischen Spitzenpolitiker hat sie in der Volksbank Tettnang eine Lesung zum Thema „Das Eigene und das Fremde“ veranstaltet und kein einziger Stuhl im „Marktplatz“ ist frei geblieben. Wie Vorstandsmitglied Jürgen Strohmaier in seiner Begrüßung feststellte, hat der Verein, der seit 2004 in der Volksbank ein gern gesehener Gast ist, eine treue und immer noch wachsende Anhängerschaft gewonnen.

Beim Thema „Das Eigene und das Fremde“ denkt man unwillkürlich an eine literarische Auseinandersetzung mit dem derzeit überall präsenten Thema Flüchtlinge und Asylbewerber. Ein Thema, das immer mehr Menschen beschäftigt, beängstigt, verstört. Dennoch sind so viele gekommen, um zu erleben, wie Schreibende sich damit auseinandersetzen.

Von ganz persönlichen Gedanken und Blickwinkeln, von unterschiedlicher Herangehensweise sprach die Vorsitzende Angelika Banzhaf. Ein unterhaltsamer Abend sollte es werden, zugleich berührend und nachdenklich.

Ein geistreiches Feuerwerk entfachte Hajo Fickus aus Wangen mit einer Folge kurzer Texte, die eigenes Erleben bis zurück in die Studentenzeit pointiert zur Sprache brachten. „Misstrauische Sympathie“ bringe er der Stadt Wangen entgegen, die „so etwas wie Heimat“ geworden sei. Eine syrische Flüchtlingsfrau ließ er von der Freiheit singen und untersuchte zuletzt unter dem Titel „Rein in den Mund und raus aus dem Mund“, wie sich Essensgewohnheiten und der Sprachgebrauch wandeln: Was soll man essen und was nicht, was darf man sagen und was nicht? Fickus verstand es dazu, die Texte mit lebendiger Gestik und packender Mimik so in Szene zu setzen, dass die Zuhörer mitten ins Geschehen hineingenommen waren.

Von unmittelbarem Erleben geprägt waren die Texte, eher Skizzen, in denen Lorenz Göser von seinem Leben in der ganz anderen Welt in Afghanistan vor 40 Jahren erzählt. Alles war für ihn und seine Frau anders, selbst ganz normale Spaziergänge, denn damit sei man ungewollt in eine intime Welt eingedrungen. „Wir blieben die Ausländer und wir blieben fasziniert.“ Perspektivenwechsel. Kurz skizzierte Göser Begegnungen mit afghanischen Flüchtlingen in den letzten Wochen und Monaten in Kressbronn. Hinter jedem Text steckt unmittelbare Betroffenheit, alles ist authentisch. Man hält den Atem an und hört zu, um kein Wort zu verpassen.

Die Fremde muss gar nicht weit weg sein

Nach diesen beiden Lesungen war klar, dass die anderen es schwer haben würden – der Auftakt war fulminant. Doch jeder hat seine eigene Art, an das Thema heranzugehen, seine Befindlichkeit einzubringen.

In Hochdeutsch erzählte Ingrid Koch von einer vertauschten Jacke, in der sie sich unbehaglich fühlte. Die Jacke blieb fremd, weckte wehmütige Gedanken an die eigene. Man kann es verstehen. Überraschend war die Pointe am Schluss.

Rolf Maier holte weit aus, nahm die Zuhörer mit dem 15-jährigen David auf die Reise nach Florenz, brachte eine verständnisvolle Frau ins Spiel, die ihm die Augen öffnete für die Anziehungskraft von Michelangelos David. Die Deutsch-Griechin Rea Revekka Poulharidou las aus ihrem Buch „Eléni – Heimat im Herzen“. Sie schilderte den ersten Besuch der in Deutschland aufgewachsenen Eléni bei den griechischen Großeltern. „Du sprichst fremd“, hört sie und steht zwischen den Polen „Ich bin nicht von hier“ und „Du bist hier zu Hause.“ Ein Kulturschock.

Weniger heftig war, was Roswitha Stumpp erzählte, die als junge Frau aus Freudenstadt im Schwarzwald nach Tettnang kam und als „Lutherische“ in der katholischen „kleinen Stadt“ eine für sie völlig andere Welt erlebte. Die Fremde muss nicht weit weg sein und gar nicht so spektakulär. Oft sind es objektiv Kleinigkeiten, die den Betroffenen große Probleme bereiten.

Drei Schüler der Musikwerkstatt setzten mit kurzen Musikstücken am E-Piano die notwendigen Zäsuren. Dass dieser Abend sehr wichtige Anregungen brachte, versteht sich von selbst.

 

Hinweis: Der Artikel ist am 16. Januar 2016 in der Schwäbischen Zeitung Tettnang erschienen.

 

Bild zur Meldung: Machen sich Gedanken über das Eigene und das Fremde (von links): Lorenz Göser, Rea Revekka Poulharidou, Hajo Fickus, Rolf Maier, Roswitha Stumpp und Ingrid Koch. Foto: Helmut Voith